Ein Bild mit Geschichte
Das Gemälde zeigt den heute 80-jährigen Gunnar Berg im Historischen Sessionssaal vor den Gelehrtenporträts seiner frühen Amtsvorgänger. Er trägt Talar und die einst von Kaiser Wilhelm I. gestiftete Amtskette, vor ihm liegt das Zepter der Wittenberger Universität. Letzteres nehme symbolisch Bezug darauf, dass Berg von 1996 bis 2007 auch Vorsitzender der Stiftung Leucorea in Wittenberg war, erklärt Dr. Ralf-Torsten Speler, Präsident der VFF und ehemaliger Kustos der Uni. Und auch hinter der Amtskette steckt eine Geschichte: Gunnar Berg ist in der Reihe der Rektorenporträts nach vielen Jahren der erste, der sie wieder trägt. Eine Kette vom Kaiser „tragen wir nicht in einer sozialistischen Republik“, hatte es zu DDR-Zeiten noch geheißen, so Speler. Für die Porträts habe der damalige Universitätsmaler Ullrich Bewersdorff deshalb eigens eine andere Kette anfertigen lassen. Aufwändig vergoldet und mit farbigen, synthetischen Edelsteinen aus Bitterfeld besetzt, zeigte sie auf der einen Seite den Juristen und Philosophen Christian Thomasius als einen der Gründungsväter der halleschen Universität und auf der anderen das Siegel der Wittenberger Universität. Politisch war das offensichtlich unverdächtig. Die Kette, erinnert sich Speler, war auch durchaus repräsentativ, so dass sich 1990 mit Günther Schilling der erste frei gewählte Rektor nach der friedlichen Revolution ebenfalls noch für sie entschied. Aber sie war eben nicht das Original.
Auf dem neuen Gemälde von Gunnar Berg weisen indes nicht nur Talar, Zepter und Amtskette in die Geschichte. Das tut auch ein auf den ersten Blick fast unscheinbares Detail: eine Anstecknadel, die symbolisch ein Verfahren des berühmten Rechenmeisters Adam Ries (1492-1559) zeigt, die so genannte Neunerprobe, mit der sich überprüfen lässt, ob ein Rechenergebnis korrekt ist. Was einen Physiker mit Adam Ries verbindet? In diesem Fall die Ehefrau. Christiane Berg ist eine Nachfahrin des Rechenmeisters. Die Ahnenlinie zurückzuverfolgen sei nicht einfach gewesen, aber in jahrelanger Arbeit und Forschung in Kirchenbüchern gelungen, sagt Berg. „Meine Frau ist sehr stolz darauf.“ Und: „Andere zeigen ihre Verbindung durch einen Ehering.“ Er eben durch die Nadel.
Grundsätzlich reden die Gemalten mit, wenn es um die Gestaltung und Details des Bildes geht. Es sei interessant, wie sich jeder Rektor darstellen wollte, sagt Ralf-Torsten Speler. Seit der Gründung der Kustodie an der Uni im Jahr 1979 hat er die Porträtsammlung verantwortet – wozu auch das Zusammentragen der an verschiedensten Orten der Uni hängenden Bilder gehörte – und neu entstehende Werke begleitet. Auf dem Gemälde von Horst Zaschke (Rektor von 1988 bis 1990) hänge im Hintergrund bereits ein Talar, obwohl der zu seiner Zeit gar nicht getragen wurde. Werner Isbaner (1980-1988) sei vor dem gardinenbehangenen Fenster seines Dienstzimmers zu sehen. „Heute würde man sagen: Gardinen! Die hat doch kein Büro mehr“, sagt Speler und lacht. Dieter Bergner (1977-1980) trage wiederum eine Digitaluhr als Zeichen des Fortschritts.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind laut Speler 15 Rektorengemälde entstanden – und ein Kupferstich von Wilfried Grecksch (Rektor von 2000-2006). Das Gemälde von Gunnar Berg, geschaffen von dem halleschen Künstler Uwe Pfeifer, fülle eine Lücke. Er dürfe angesichts seiner großen Verdienste und seiner Rolle bei der Neuordnung der Universität nach der Wiedervereinigung nicht fehlen. Das Bild ist in der mehr als 100-jährigen Geschichte der VFF das dritte, das vom Verein finanziert wird – andere wurden von den Universitätsmalern angefertigt, von der Uni oder Sponsoren finanziert oder von Einrichtungen beziehungsweise Nachfahren der Rektoren zur Verfügung gestellt. Vor Berg hatte der Verein bereits Ernst von Stern (1921-22 und 1923-1924) und den Gründer des Geiseltalmuseums Johannes Weigelt (1936-1944) malen lassen.
Die Reihe der Rektorenporträts geht freilich viel weiter zurück – bis zur Gründung der Friedrichs-Universität im Jahr 1694. Sie beginnt mit Johann Wilhelm Baier, dem ersten dienstführenden Rektor – damals Prorektor genannt. Allerdings ist sie bei weitem nicht vollständig. „In früheren Zeiten wurden die Rektoren zum Teil erst Jahre nach ihrem Tod auf Beschluss des Senats gemalt – und auch dann nur die wichtigsten mit herausragenden Verdiensten“, sagt Speler. Zu denen gehörte für damalige Senatoren neben Christian Thomasius, dem berühmten Philosophen Christian Wolff oder dem Theologen August Hermann Francke zum Beispiel auch Michael Alberti. „Das war gut“, sagt Speler, denn: Unter Albertis Rektorat wurde 1754 mit Dorothea Erxleben die erste deutsche Ärztin promoviert, ein Meilenstein nicht nur in der Geschichte der Universität. Auch die Darstellung der Personen damals unterschied sich im Übrigen deutlich: Im 18. Jahrhundert ließen sich Professoren überwiegend vor Büchern, Bücherwänden, Lorbeerkränzen oder Sammlungsgegenständen malen und trugen Talar, unter dem höfische Kleidung sichtbar wurde. Um 1800 wich die höfische Kleidung dem schlichten Bürgerrock mit weißem Hemd und neutralem Hintergrund. Insbesondere in der Mitte des 19. Jahrhunderts habe es statt der Gemälde auch Büsten der Gelehrten gegeben, so Speler.
Ein Teil der Rektorengemälde ist heute im Historischen Sessionssaal im Löwengebäude zu sehen, weitere werden im Kunstdepot der Kustodie aufbewahrt. Das Bildnis von Gunnar Berg hängt in den Räumen der VFF. Erstmals enthüllt wurde es bereits Ende 2020 im Atelier des Künstlers Uwe Pfeifer – wegen der Pandemie allerdings nur in sehr kleinem Rahmen mit dem Ehepaar Berg und dem VFF-Präsidenten. Die ursprünglich für den 80. Geburtstag Bergs geplante öffentliche Präsentation wurde verschoben. Mit der Vorstellung im Rahmen der Mitgliederversammlung und der Übergabe an Rektor Prof. Dr. Christian Tietje geht es nun offiziell in den Besitz der Uni über.