„Wir müssen uns zusammenrappeln“

30.10.2025 von Katrin Löwe in Campus
Das Institut für Politikwissenschaft veranstaltet die Projektwoche „In Verteidigung der Demokratie“. Auf dem Programm stehen auf dem Steintor-Campus neben Lehrveranstaltungen auch öffentliche Workshops und Diskussionsrunden. Dort finden in der kommenden Woche auch Veranstaltungen im Rahmen des zivilgesellschaftlich initiierten Wir-Festivals in Halle statt. Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Petra Dobner und der Germanist Dr. Steffen Hendel erklären im Interview die Hintergründe.
Petra Dobner und Steffen Hendel auf dem Steintor-Campus, wo es sowohl innerhalb der Projektwoche "In Verteidigung der Demokratie" als auch innerhalb des Wir-Festivals Veranstaltungen geben wird.
Petra Dobner und Steffen Hendel auf dem Steintor-Campus, wo es sowohl innerhalb der Projektwoche "In Verteidigung der Demokratie" als auch innerhalb des Wir-Festivals Veranstaltungen geben wird. (Foto: Maximilian Kümmerling)

Frau Dobner, am Institut für Politikwissenschaft ist gestern die Projektwoche gestartet. Was ist die Intention dahinter? 
Petra Dobner: Die Politikwissenschaft ist nach dem Zweiten Weltkrieg als Demokratiewissenschaft gegründet worden. Ich glaube, es ist nach wie vor ein großer Konsens, dass wir vom Kern her eine normative Wissenschaft sind. Und angesichts der Entwicklung in den vergangenen Jahren, mit dem Erstarken rechtspopulistischer, rechtsextremer Parteien, sehen wir uns in der Verantwortung, unserem Bildungsauftrag in verstärkter Weise nachzukommen. Im vergangenen Jahr haben wir schon eine Projektwoche durchgeführt, damals unter dem Titel „Wehrhafte Demokratie“.

Der Titel ist im Vergleich zu 2024 leicht verändert. Können Sie das erklären? 
Dobner: Die „Wehrhafte Demokratie“ ist ein Konzept, das sich auf Elemente bezieht, mit denen Demokratien versuchen, sich gegen ihre Feinde zu immunisieren. Das bekannteste Beispiel: Im deutschen Grundgesetz sind der Artikel 1 zur Würde des Menschen und der Artikel 20 zu den Staatsprinzipien geschützt durch die „Ewigkeitsklausel“ in Artikel 79. Die besagt, dass beide Artikel nicht verändert werden dürfen – Punkt. Mit dem neuen Titel unserer Projektwoche möchten wir akzentuieren, dass es nicht nur darum geht, sich mit institutionellen Maßnahmen zu befassen. Sondern auch darum, dass wir alle uns zusammenrappeln und unsere Demokratie verteidigen müssen. 

Welche Erfahrungen haben Sie aus der Projektwoche 2024 mitgenommen? 
Dobner: Zum einen war es schön, dass nicht nur mehr oder weniger sämtliche Veranstaltungen unseres Instituts unter das Thema gestellt wurden, sondern sich auch Kolleginnen und Kollegen anderer Institute beteiligten – das schafft eine Art Gemeinsamkeit nach innen. Zum zweiten: Die politische Lage ist aus vielen Gründen besorgniserregend und es macht unseren Studierenden auch Mut, wenn sie in der Projektwoche miteinander diskutieren können. Und uns natürlich auch.

Welche konkreten Veranstaltungen wird es diesmal geben, was sind die Highlights? 
Dobner: Geplant sind cirka 35 Veranstaltungen, von Vorlesungen über Seminare bis hin zu Workshops. Darunter sind drei große öffentliche Abendveranstaltungen. Zum Auftakt diskutierten wir in dieser Woche mit allen Professorinnen und Professoren des Instituts unter dem Titel „Was wäre, wenn … - Sachsen-Anhalt vor der Wahl 2026“ darüber, was auf uns zukommen könnte, wenn es bei der Landtagswahl tatsächlich zu einer absoluten Mehrheit für die AfD käme. Auf einer weiteren Veranstaltung zum Thema „Hoffnung Ost“ geht es am 4. November gemeinsam mit dem Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation um die Frage, wie man auch positiv nach vorn schauen kann. Zweifelsohne im Interesse unserer Universität liegt die Veranstaltung „Angriff auf die Wissenschaft“ am 5. November. Gemeinsam mit Rektorin Claudia Becker, Folker Roland, Präsident der Landesrektorenkonferenz und Rektor der Hochschule Harz, Heinz-Jürgen Voß, Prorektor der Hochschule Merseburg, und weiteren Gästen wollen wir darüber sprechen, was möglicherweise auf uns zukommt und wie wir uns wappnen können, um die Wissenschaftsfreiheit zu erhalten. Diese Veranstaltungen liegen uns sehr am Herzen – sie sollen aber keine Konkurrenz zum Wir-Festival sein, das wir auch unterstützen.

Stichwort Wir-Festival. Das läuft bereits seit September und auch noch parallel zur Projektwoche an der MLU. Das Germanistische Institut beteiligt sich. Herr Hendel, was ist da der Hintergrund? 
Steffen Hendel: Als vor einem halben Jahr bekannt wurde, dass es eine rechte Buchmesse in Halle geben wird, ging ein Schreck durch die Stadt. Es gab Menschen, die gesagt haben: Lasst uns zeigen, was eine breite, diverse, nicht unbedingt konsensuelle, aber streitbereite Öffentlichkeit, Kultur und Wissenschaft ist – eine Breite und Vielstimmigkeit, die zunehmend massiv unter politischen Druck gerät. Diese Initiative hat sehr großen Zulauf, auch institutionellen, eine Resonanz, die man sicherlich am besten an den Plakaten und Schaufenstern im Stadtraum sehen kann. Auch an meinem Institut – wie übrigens an anderen Stellen in dieser Uni – suchten wir nach einer Position. Denn gerade die Germanistik findet sich auf verschiedenen Ebenen im Zentrum der politischen Debatte der Rechten wieder – angefangen von sprachlichen Themen wie dem Gendern bis hin zur literarischen Tradition, die die Rechten für sich beanspruchen. Dazu mussten wir uns verhalten. Auch die Studierenden, von denen wir einen Großteil für das Lehramt ausbilden, haben das nachdrücklich gewünscht. Deswegen beteiligen wir uns auch am Programm des Wir-Festivals. Mit Workshops, einer Ringvorlesung oder mit Lehrveranstaltungen, die kommende Woche für Interessierte geöffnet sind. 

Sie veranstalten am 7. und 8. November auch eine „Lese-Theke“ in der Steintor-Bibliothek. Was passiert dort?
Hendel: Über 50 Expertinnen und Experten aus der Germanistik, aber auch aus anderen Philologien, Studierende und Angestellte der Bibliothek sowie der Universität bieten dort bei Kaffee und Zimtschnecken kurze, etwa siebenminütige Gespräche zu literarischen Texten an. Zur Auswahl stehen über 60 Titel, exemplarisch aus verschiedenen Epochen und in einer großen, auch sehr kontroversen Bandbreite. Dazu gehören zum Beispiel „Das Nibelungenlied“, Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“, Maria Leitners „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ neben Ernst-Jünger-Texten, aber auch Ursula Werner-Böhnkes „Bummi in Afrika“ oder Joanne K. Rowlings „Harry Potter“. 

Wie kann man sich die Gespräche vorstellen?
Hendel: Bücher werden ausliegen, in ihnen kann man blättern, schmökern, Lesezeichen mit Schlagworten weisen auf Besonderheiten hin. Die Besucherinnen und Besucher können dann sagen: „Das Buch kenn’ ich doch oder will ich kennenlernen, darüber will ich reden, mit Fachleuten, mit Lesebegeisterten.“ Für uns ist das ein Stück weit auch Third Mission: Wir sind ansprechbar, mit uns kann man sich austauschen, die Uni ist keine hermetisch abgeriegelte Wissenschaft – und außerdem ist sie am besten, wenn sie offen und vielstimmig ist. 

Ausgewählte Veranstaltungen der Projektwoche „In Verteidigung der Demokratie“

Omnibus für Direkte Demokratie: Nomadische Bürgerinitiative und Kunstwerk
Montag, 3. November 2025, 10 bis 16 Uhr
Steintor-Campus
Emil-Abderhalden-Straße 25
06108 Halle (Saale)

Johannes Stüttgen: Demokratiemüdigkeit überwinden – Impulse aus der Kunst heraus
Montag, 3. November 2025, 10 bis 12 Uhr
Steintor-Campus, Hörsaal V
Ludwig-Wucherer-Straße 2
06108 Halle (Saale)

„Hoffnung Ost“ – gemeinsame Veranstaltung mit dem Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation
Dienstag, 4. November 2025, 18 Uhr
Steintor-Campus, Hörsaal II
Emil-Abderhalden-Straße 28
06108 Halle (Saale)

Podiumsdiskussion „Angriff auf die Wissenschaft“
Mittwoch, 5. November, 18 Uhr
Audimax, Hörsaal XXII
Universitätsplatz 1
06108 Halle (Saale)

Das vollständige, aktuelle Programm der Projektwoche ist zu finden unter: https://verteidigungderdemokratie.de/

 

Ausgewählte Veranstaltungen des Wir-Festivals auf dem Steintor-Campus:

Offene Lehrveranstaltungen in der Germanistik: 
Steintor-Campus, 3. bis 7. November,
Germanistik im Wir-Festival

Lese-Theke. Literarischer Schnellimbiss in der Uni-Bibliothek
7. und 8. November 2025, jeweils 12 bis 18 Uhr 
Zweigbibliothek Steintor-Campus
Emil-Abderhalden-Straße 25
06108 Halle (Saale)

Weitere Veranstaltungen an der Uni: Veranstaltungskalender
Alle Veranstaltungen des Festivals: https://wir-halle.de/

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