„Da müssen Sie jetzt tapfer sein“
Die Vorstellung, dass Schamanen mit Gong, Rasseln, Glocken und Schellen ins Universitätsklinikum einziehen könnten, um hier künftig die Patienten zu heilen, entlockte dem Publikum ein herzliches Lachen. Im voll besetzten kleinen Konzertsaal des Musikinstituts gingen drei Professoren der Frage nach: Macht Musik gesund? Bei diesem spannenden musikalischen Roundtable konnten die Besucher Wissenswertes über die Wirkung von Musik erfahren und erleben. Von Bräuchen in verschiedenen Ländern, bei denen böse Dämonen das Weite suchen, wenn der Gong erklingt, wusste beispielsweise die Musikethnologieprofessorin Gretel Schwörer-Kohl zu berichten. Sie beschrieb, wie Schamanen in Burma oder China sich mit Klängen und bestimmten Rhythmen in einen Trancezustand versetzen, um den Kontakt zur Geisterwelt zu bekommen.
Im Klinikum indes waren weder Schamanen noch Ärzte am Werk: Normale Bürger durften am OP-Tisch tätig werden. Eine kleine Kamera im Inneren des „Patienten“ übertrug das rote glänzende Fleisch auf einen Bildschirm. Es sah verdächtig nach Menschenfleisch aus. Mit der Kamera in der Linken und einer Zange in der Rechten wollten Geschwüre und Gesteine entfernt werden. Wenige geschickte Handgriffe genügten: Zum Vorschein kam ein winzig brauner Kern. Die Melone hatte nicht gelitten.
Genauso wenig wie die Oberarme der jugendlichen Probanden im Physik-Schülerlabor am Von-Danckelmann-Platz. Auch wenn die sich ziemlich geziert hatten ob der Aussicht, eiskalten Stickstoff auf die Haut geschüttet zu bekommen. Der dann aber rasant an ihnen abperlte. Wie Wassertropfen, die auf einem Dampfkissen auf dem heißen Herd springen.
In der Nachbarschaft, am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, wurde zur selben Zeit fleißig gebohrt und gekurbelt: Die eigens aufgebaute Bohrplattform faszinierte vor allem die jüngsten Besucher, die auch selbst Proben aus der Tiefe holen durften. Die höheren Semester konzentrierten sich währenddessen vor allem auf Dr. Andreas Marx' Vortrag zum Klimawandel in Sachsen-Anhalt.
Auch nebenan, am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa, folgte ein aufmerksames Publikum zu später Stunde den Ausführungen von Dr. Wolfgang Weiß. Er informierte über den Männerüberschuss in Skandinavien, die Frauenquote in Sachsen-Anhalt und erläuterte, welche Herausforderungen die Bevölkerungsentwicklung im 21. Jahrhundert noch bereit halten wird.
Im Foyer des Instituts für Biochemie/Biotechnologie drehten sich währenddessen vier Petrischalen mit Keimlingen um ihre eigene Achse. Das Gerät hatten Mitarbeiter der Abteilung Zelluläre Biochemie aus Legosteinen gebaut. „Wir untersuchen, ob und wie Pflanzen erkennen können, wo oben und unten ist“, erklärte Dr. Irene Stenzel. Pflanzen, die sich sonst dem Licht entgegenstrecken, wachsen durch die permanente Drehung spiralförmig.
Doch zurück in die City, per kostenlosem Busshuttle, versteht sich. Unter dem Motto „Kann Literatur heilen?“ zeigten Wissenschaftler des Germanistischen Instituts, welche Rolle die Literatur für die Medizingeschichte spielte. Besonders im Fokus: Johann Christian Reil, Begründer der Psychotherapie. Von großer Bedeutung sei zum Beispiel sein Katalog von Heilmethoden gewesen. „Da müssen Sie jetzt ein bisschen tapfer sein“, sagte Dr. Heidi Ritter und verwies auf das Katzenklavier. Bei diesem Instrument wurden bei jedem Anschlagen der Klaviertasten Nägel in Katzenschwänze gebohrt. Das Schreien der Katzen sollte den Melancholiker aus seiner Erstarrung lösen. Weitere Therapievorschläge Reils waren aber durchaus modern und weniger schaurig. Er sprach von Kunst, Sport und einem regelmäßigem Leben, das dem psychisch Kranken helfen sollte. Vorstellungen, die bis heute relevant sind.
Draußen auf dem Universitätsplatz sprach derweil der Rektor, es wurden mit frenetischem Jubel die Fußball-Europameister gefeiert, es gab viele Showeinlagen – und als Höhepunkt begeisterte die fulminante 3D-Lasershow zur Geschichte der Evolution das Publikum. Noch mehr Zuschauer zog an diesem Abend nur das große Feuerwerk auf dem Von-Seckendorff-Platz an. Eine Viertelstunde voller blauer Wasserfälle und Fontänen hatte Informatikprofessor Stefan Brass mit seiner selbstprogrammierten Zündanlage komponiert.
Das Fazit aus dem Munde von Rektor Prof. Dr. Udo Sträter: „Die Wissenschaftsnacht hat sich bestens in Halle etabliert.“ Sein großer Dank gelte allen Beteiligten, die wochenlang mit aufwändigen Vorbereitungen beschäftigt waren. „Wir sind durchaus eine Stadt der Wissenschaft, auch wenn es mit dem Titel noch nicht geklappt hat.“