Die Brigade „Düngung“: Tagebücher im Archiv schildern Alltag der DDR

Das Brigadebuch der Gruppe „Düngung“ begann im Frühjahr 1974. Die 16-köpfige Gruppe gehörte zur Landwirtschaftlichen Fakultät der MLU und trug den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“. Zu den Ereignissen, die 1974 Eingang in das Buch fanden, gehörte unter anderem der Besuch einer Revue am 9. Januar, der Rosenmontag im Februar sowie eine Feier für die Frauen am 25. März, die im Heide-Krug stattfand und bei der die Teilnehmenden „nach anfänglichen Schwierigkeiten“, so liest man, „doch noch einen schönen Platz im ‚Grünen Salon‘ erhielten“. Die Seiten zu den einzelnen Aktivitäten sind aufwändig gestaltet: Aufgeklebte Zeitungsausschnitte, oft ergänzt durch Zeichnungen, farbig herausgehobene Überschriften, aber auch ganze Foto-Collagen reihen sich aneinander. „Man sieht, dass da jemand wirklich Spaß an der Gestaltung hatte“, sagt Karin Keller, stellvertretende Leiterin des Universitätsarchivs der MLU.
Das Brigadetagebuch der Gruppe „Düngung“ wurde kürzlich von einem ehemaligen Mitglied an das Archiv übergeben. Und es ist nicht das einzige, das bereits dort lagert. Insgesamt sind bisher 22 Exemplare aus verschiedenen Bereichen der MLU und anderer Hochschulen verfügbar, etwa der ehemaligen Pädagogischen Hochschule, die später in die MLU integriert wurde. „Die Sammlung ist spannend, denn sie zeigt viel vom Arbeitsalltag in der damaligen DDR“, erklärt Karin Keller. Das Führen eines Brigadetagebuchs sei damals absolut üblich gewesen. Ein Grund dafür war wohl auch die Tatsache, dass Teams – oder Kollektive, wie sie in der DDR genannt wurden – in der Regel mehr oder weniger freiwillig um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ rangen. Dazu gehörte unter anderem eine Dokumentation des Arbeitsalltags, aber auch der gemeinsamen Freizeitgestaltung. Wer den Titel schließlich errang, erhielt eine finanzielle Zuwendung.
Alles in allem, so Karin Keller, sei der Bestand auch für eine wissenschaftliche Erschließung geeignet: „Um sie besser zugänglich zu machen, haben wir sie nun im Archiv unter einer einheitlichen Repositur erfasst.“ Das ist – wenn man so will – eine gemeinsame virtuelle Unterabteilung. Sie erleichtert den Zugang enorm, denn, so Keller, „man kann nun direkt danach suchen.“ Unter der Repositur-Nummer 134 tauchen seit kurzem alle „Chroniken von Studenten und Brigadetagebücher“ auf.
Den Impuls, sie besser zugänglich zu machen, lieferte eine ehemalige Studentin der MLU: Sie hatte ihren Abschluss im Fach Biologie 1967 erworben. Zum Examen legte ihre Seminargruppe damals eine Chronik an. Darin dokumentierten die ehemaligen Kommilitonen ihre danach regelmäßig stattfindenden Treffen und sonstige Höhepunkte im Leben der einzelnen Mitglieder. Das Buch wurde mit kleinen Unterbrechungen bis 2022 geführt und danach ans Archiv abgegeben. Das war der Punkt, an dem Karin Keller mit ihrem Team begann, sich dem Genre stärker zu widmen. Inzwischen hat die angehende Historikerin Tabea Schmeitzner, die im Archiv als Mitarbeiterin tätig war, den gesamten Bestand durchgearbeitet und erfasst. Darunter befinden sich neben dem bereits genannten Buch der „Gruppe Düngung“ unter anderen auch das Tagebuch der „Brigade Anna Seghers“, das vom damaligen Direktorat für Forschung der MLU von 1960 bis 1964 geführt wurde, sowie mehrere Exemplare vom Team des Universitätsarchivs.
Tabea Schmeitzner hat festgestellt, „dass jede Gruppe einen eigenen Stil entwickelt hat“. Einige Bücher seien sehr ideologisch geprägt, andere hingegen enthielten eher eine kulturelle, unpolitische Note, die sich auch auf die Gestaltung auswirkte.
Nachdem die meisten der bisherigen Brigadetagebücher von Privatpersonen an das Archiv übergeben wurden, hofft Karin Keller nun, dass womöglich noch irgendwo weitere Exemplare lagern. Sie ruft ehemalige Mitarbeitende dazu auf, eventuelle Funde – ganz gleich, ob sie auf dem heimischen Dachboden lagern oder in der Schublade eines MLU-Büros – im Archiv abzugeben. „Das ist der richtige Ort“, sagt sie, „denn wir haben hier hervorragende Bedingungen zu Lagerung und Erschließung.“ Im Archiv hofft man nun, dass ehemalige Beschäftigte nicht bereits alles weggeworfen haben. Karin Keller: „Das sind Zeitzeugnisse, die der Nachwelt noch viel über das Leben in der DDR preisgeben könnten“.
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Das Archiv der MLU nimmt historische Funde entgegen und berät auch zu deren Inhalt. Es ist per Telefon unter 0345 55-23924 sowie per E-Mail unter archiv@uni-halle.de erreichbar.





