Auf der Suche nach dem universellen Spenderblut
Peter Rahfeld sitzt in seinem Büro in einem Startup-Center der niederländischen Universitätsstadt Leiden und skizziert per Videokonferenz die Grundzüge seiner Forschung. Immer wieder mischen sich englische Begriffe in seine deutschen Formulierungen. Rahfeld hat seit 2015 in Kanada gelebt und seine Postdoc-Zeit an der University of British Columbia in Vancouver verbracht. Englisch prägte seither seinen Alltag, nicht nur an der Uni. Und auch jetzt, wo er seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Europa verlegt hat, fliegt er aus beruflichen Gründen mindestens alle acht Wochen nach Nordamerika. Der Grund: Seit 2020 leitet der 37-Jährige in Kanada eine von ihm mitgegründete Biotech-Firma.
In diesem Startup-Unternehmen mit dem Namen Avivo Biomedical Inc. firmiert Rahfeld als Chief Science Officer. Als solcher steht er kaum noch selbst im Labor, sondern hat eher strategische Aufgaben – ein Fakt, der ihm jetzt die Arbeit aus der Ferne ermöglicht. Seine Freundin, die er noch während des gemeinsamen Studiums in Halle kennengelernt hatte, ist seit kurzem Professorin an der Universität Leiden. „Sie ist an die Stadt gebunden. Ich hingegen kann von überall aus arbeiten, warum also nicht von hier“, erklärt Rahfeld. Einzig die neun Stunden Zeitverschiebung nach Kanada erschweren mitunter die Organisation seines Jobs: „Wenn ich in Leiden Feierabend mache, hat der Arbeitstag für die Kollegen in Vancouver gerade begonnen.“ Deren dienstlichen Mails zu beantworten, das könne dann schon mal bis in die Nachtstunden dauern. Trotzdem sieht Rahfeld viele Vorteile in seiner neuen Situation. Einer davon: Die Fahrt zu seinen in Halle lebenden Eltern verkürzt sich im Vergleich zu Vancouver enorm.
Bevor Rahfeld 2015 nach Kanada ging, hat der gebürtige Hallenser an der MLU Biochemie studiert, forschte am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena und wurde an der Uni Jena promoviert. „Von meiner Ausbildung in Halle profitiere ich bis heute“, so Rahfeld mit Verweis auf die inhaltliche und fachliche Breite. Sein Studium absolvierte er vor allem bei Prof. Dr. Rainer Rudolph, der vor seiner Zeit an der MLU für das Pharmaunternehmen Boehringer tätig war und deshalb als besonders gut vernetzt galt. „Bei ihm habe ich viel gelernt“, sagt Rahfeld. Außerdem, und auch das sei ein Vorteil, bringe man in Kanada der Ausbildung an deutschen Universitäten generell sehr viel Vertrauen entgegen. Das habe ihm den Einstieg enorm erleichtert. „Mein Chef in Vancouver hat mich sofort eingestellt, obwohl er kaum Details meiner Arbeit kannte.“
Mit seinem Forschungsthema, einer gezielten Veränderung des Bluttyps, ist der Hallenser bisher sehr zufrieden. Schon in Halle hatte er mit Enzymen gearbeitet. In Kanada wendete er sich dem Blut zu und 2019 gelang ihm ein Durchbruch: Seine Studie wurde in der Fachzeitschrift „Nature Microbiology“ veröffentlicht und sorgte international für Aufmerksamkeit. Er fand im menschlichen Darm zwei Enzyme, mit denen sich menschliches Blut der Gruppe A in jenes der Blutgruppe Null wandeln ließ. Zur Erklärung: Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Blutgruppen besteht in unterschiedlichen Zuckermolekülen auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen. Rahfeld fand nun genau solche Enzyme, die diese Zucker verändern können, und damit - so das strategische Ziel - auch die Blutgruppen. Mit der Firmengründung soll es vor allem möglich sein, Kapital für weitere Forschungen bei Investoren einzusammeln. Ohne eine solche finanzielle Unterfütterung gehe es in der Wissenschaft nicht, denn Grundlagenforschung sei enorm teuer, selbst, wenn sie einen Anwendungsbezug hat, so Rahfeld.
Sollten er und sein Team auch mit ihren weiteren Arbeiten erfolgreich sein, wäre es möglich, jede Blutgruppe in eine Art universelles Spenderblut umzuwandeln. Das hätte enorme Vorteile und würde Engpässe bei der Blutspende verringern helfen. „Ich bin optimistisch, dass wir ein Verfahren entwickeln werden, das es in die Praxis schafft, aber es wird noch Jahre dauern“, sagt Rahfeld und ergänzt: „Die Forschung mit Blut-Antigenen könnte außerdem für die Organspende interessant sein, denn mit der dadurch möglichen Quasi-Standardisierung von Blutgruppen ließe sich auch der Pool von Organ-Empfängern erweitern.“
Grundsätzlich gebe es in der Wissenschaftscommunity einen aktiven Dialog über aktuelle Entwicklungen, so auch zu seinen Forschungen, sagt er. Diskutiert werden etwa Bedenken, was die für die Umwandlung der Blutgruppen in den Körper eingebrachten Enzyme dort für Nebenwirkungen entfalten könnten. Diese Bedenken möchte der Forscher entkräften: „Wir suchen nach einem Verfahren, bei dem die Enzyme dem Blut außerhalb des Körpers beigemengt werden können.“ Nach der Umwandlung der Blutgruppe würden sie wieder herausgewaschen, und zwar, bevor das Blut zurück in den Körper transfundiert wird.
Als einer von mehreren Chefs im Unternehmen versteht sich Rahfeld vor allem als Manager. Das bedeutet: Er muss das große Ganze im Blick behalten, die Entwicklung der Produkte und Verfahren bis zur Marktreife managen, aktuelle Forschungsergebnisse beobachten und außerdem eruieren, ob und inwieweit sie für die Arbeit seines Unternehmens hilfreich sein könnten. Und er muss den Kontakt zu der US-Behörde „Food and Drug Administration“, kurz FDA, halten, die auf dem amerikanischen Markt für die Zulassung von Medizinprodukten zuständig ist und als solche auch die Standards für die Forschung in diesem Bereich setzt und überwacht. „All das ist total spannend und sehr abwechslungsreich“, so Rahfeld.
Ein Leben für die Wissenschaft scheint für den 1985 geborenen Forscher vorbestimmt gewesen zu sein: Mutter Bettina ist an der MLU im Institut für Pharmazie tätig, Vater Jens-Ulrich war lange beim Unternehmen „Probiodrug“ auf dem Weinberg Campus beschäftigt und arbeitet inzwischen am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Halle. „Da gibt es fast schon so etwas wie einen familiären Zwang, in die Forschung zu gehen“, meint Rahfeld junior mit Augenzwinkern. Noch heute erinnere er sich „mit gutem Gefühl“ daran, wie er als kleiner Junge oft bei seinen Eltern im Labor gewesen sei, die damals noch an der Max-Planck-Forschungsstelle für die Enzymologie der Proteinfaltung tätig waren.
Überhaupt hat der Hallenser gute Erinnerungen an seine alte Heimat. Vor allem im Gedächtnis geblieben ist ihm die Peißnitz, auf der er während seiner Studienzeit viel mit seinen Kommilitonen unterwegs gewesen ist. Rahfeld: „Halle und die Universität haben mir einen guten Start ermöglicht. Alles, was ich heute kann und bin, hat hier begonnen.“