Als Arzt in Nepal
Hohe Berge mit schneebedeckten Gipfeln, schmale Täler, Berg- und Nebelwälder oder karge Steinwüsten, Tempel mit bunten Wimpelketten, kleine, abgelegene Dörfer, grüne Reisfelder – das ist die romantische Vorstellung von Nepal. Die Realität für die Menschen vor Ort sieht etwas anders aus, da ist die Abgeschiedenheit ein großes Problem. Besonders der Zugang zu medizinischer Versorgung ist schwer, weil Krankenhäuser weit entfernt liegen, es kaum Straßen gibt und lange Distanzen oft zu Fuß zurückgelegt werden müssen.
Für Ole Hensel, Neurologe am Universitätsklinikum Halle, ist das Land am Himalaya inzwischen eine Art zweites Zuhause geworden. Regelmäßig arbeitet er in einem Dorfkrankenhaus in Amppipal, das etwa 100 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Kathmandu liegt. „Zum ersten Mal war ich vor 13 Jahren in Nepal. Seitdem versuche ich, jedes Jahr für etwa vier bis sechs Wochen hinzufliegen“, sagt der Arzt. Der Verein Nepalmed, zu dessen Vorstand er gehört, unterstützt mehrere Krankenhäuser in dem Land, sowohl in Kathmandu als auch in den abgelegeneren Orten Amppipal, Dolakhal oder Kirtipur.
Nachdem Nepal im April und im Mai dieses Jahres von heftigen Erdbeben heimgesucht wurde und die Monsunzeit auch noch früher als sonst einsetzte, ist diese medizinische Hilfe umso nötiger. „Danach haben wir viel zu tun gehabt: Wir haben Vorträge gehalten und Spenden gesammelt. Zwei Teams aus Mitgliedern des Vereins sind auch direkt hingeflogen und haben vor Ort geholfen“, erzählt Ole Hensel, der nach seinem Medizinstudium noch ein Bachelorstudium in Informatik absolviert und dabei den Verein Nepalmed kennengelernt hat.
56 Medizinstudenten halfen 2015 in Nepal
Nach den Erdbeben ist aus Deutschland zudem eine ganze Flugzeugladung mit medizinischen Gütern nach Südasien geschickt worden. „Nach dem Erdbeben haben wir rund 300.000 Euro für Medikamente und medizinische Geräte in Nepal ausgegeben, was für einen kleinen Verein wie unseren eine große Leistung ist“, sagt Hensel, zumal das Organisieren und auch das Helfen in der Freizeit geschehe.
„Vor allem versuchen wir, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und die Menschen vor Ort aus- und weiterzubilden“, erklärt Hensel. Während manche Mediziner als Entwicklungshelfer sogar einige Jahre bleiben, fahren andere regelmäßig für einige Wochen am Stück nach Nepal. Dort mache er dann „alles, was anfällt“. Des weiteren werden Medizinstudierende aus ganz Deutschland für Famulaturen vermittelt: Im vergangenen Jahr waren es 56.
„Es geht darum, ihnen zu zeigen, dass und wie es auch anders geht“, sagt Hensel. Diese Erfahrung hat er schließlich selbst gemacht. „Ich habe gelernt, auf einfache Untersuchungen ohne medizinische Geräte zu vertrauen. Man kann auch mit manuellen Methoden Diagnosen stellen“, erzählt er, und findet, das sei etwas, das man in der modernen Welt verlerne. „Es bringt einem selbst auch etwas: Man ist mit seiner Arbeit zufriedener.“
Krankentransport in der Hängematte
Außerdem sei man in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, vor Ort einzukaufen und für Baumaßnahmen lokale Firmen anzuheuern. Wenn es um Medikamente oder Ausrüstung geht, sei vor allem das benachbarte Indien eine Quelle. Dennoch ist beispielsweise das Krankenhaus in Amppipal weit entfernt davon, luxuriös zu sein. Stromausfälle gehören zum Alltag, die Operationsräume und die Ausstattung sind sehr einfach.
Kranke Menschen werden von Angehörigen zur Behandlung getragen, beispielsweise in Körben auf dem Rücken oder, wie in einer Hängematte liegend, in einem an einen langen Holzstab gebundenen Tuch. „Amppipal entwickelt sich aber gut. Probleme gibt es immer wieder, diese werden gelöst und dann geht es weiter“, sagt Hensel. Und der Ort hatte Glück: Obwohl er nur acht Kilometer vom Epizentrum des ersten Bebens in diesem Frühjahr entfernt ist, ist er aufgrund seiner Lage auf einer Steinplatte nur wenig beschädigt worden.
Mittlerweile hat Ole Hensel einen guten Einblick in die gesellschaftlichen Strukturen des Landes gewonnen. Seine Erzählungen und Fotos relativieren so manches Problem in reichen Nationen wie Deutschland. „Die Nepalesen sind sehr kinderfreundlich, aber gleichzeitig ist die Kindersterblichkeit hoch. Deswegen bekommen Kinder erst sehr spät einen Namen“, erzählt er. Es gebe weder Krankenversicherung, noch Rentenversicherung. Auch das Kastenwesen in Nepal sei ein Problem, die Bildung der Menschen sei oft schlecht.
„Die Menschen dort sind sehr abergläubisch“, sagt der Neurologe und berichtet davon, dass es deswegen beispielsweise Tage gebe, an denen nicht operiert werden dürfe – egal, ob es dringend sei oder nicht. Auch würden viele Patienten eher zu einem Schamanen gehen, weil das für die arme Bevölkerung billiger sei. Die Behandlung im Krankenhaus muss schließlich selbst bezahlt werden. Für die Ärmsten der Armen übernimmt der spendenfinanzierte Verein die Behandlungskosten über einen Fonds. Und doch treffe man auf lachende, entspannte Menschen in Amppipal, wo Ole Hensel Ende Oktober wieder unterwegs sein wird.
Wandkalender für einen guten Zweck
Mit dem Verkauf eines Kalenders sammelt der Neurologe zurzeit Spenden. Der Verkaufserlös des Kalenders mit Fotos aus Nepal kommt medizinischen Hilfsprojekten zugute. Der Kalender kann für 10 Euro per E-Mail an ole.hensel@medizin.uni-halle.de bei Ole Hensel direkt oder für 13 Euro über Amazon bestellt werden.