Mit Francke raus aus der Theorie
Motiviert und engagiert schritten die Studierenden verschiedener Lehramts- und Masterstudiengänge im Rahmen der zwei Semester umfassenden Veranstaltung „Wahrnehmungen und Deutungen des Pietismus: Zeitgenossen – Rezeption“ zur Tat. Zunächst haben sie in einem Seminar die Rezeptionen von Person und Wirken August Hermann Franckes in verschiedenen Zeiten, also sozialen und politischen Kontexten, anhand zeitgenössischer Quellen erkundet.
Denn „jede Zeit baut sich einen eigenen Francke“, so Historiker und Seminarleiter Prof. Dr. Andreas Pečar vom Institut für Geschichte der MLU, das die Veranstaltung in Kooperation mit den Franckeschen Stiftungen anbot. Das Besondere daran bestand nicht nur darin, dass die Studierenden dabei eigenständig Texte ausfindig machen und auf dieser Grundlage einen publikationsreifen Essay für einen Katalog verfassen sollten.
„Die Veranstaltung war von Beginn an mit der Idee verbunden, die Studierenden in einer an das Seminar anschließenden Übung eine Ausstellung konzipieren und bis zur Präsentationsreife begleiten zu lassen“, so der zweite Seminarleiter Dr. Holger Zaunstöck, Historiker und UNESCO-Beauftragter der Franckeschen Stiftungen. „Das zu dem Zeitpunkt bevorstehende Francke-Jubiläum bot eine wunderbare Gelegenheit dafür.“
Und diese Gelegenheit wurde genutzt, wenngleich ein Mehraufwand abzusehen war. „Die Veranstaltung versprach einen Ausbruch aus der Theorie und schon die Aussicht auf eine Publikation war verlockend“, erzählt Teilnehmerin Claudia Weiß, Studierende im Masterstudiengang Aufklärung – Religion – Wissen. Bereits während der Vorbereitungen ihres Referats konnte sie Neuland erkunden. „Bisher habe ich ausschließlich in Bibliotheken recherchiert. Es war interessant, die hiesigen Archive auch einmal kennenzulernen, da man besonders bei der Arbeit in Museen sicher häufig auf darin befindliches Material zurückgreift.“
Außerdem aber haben Claudia Weiß und ihr Kommilitone Paul Philipp Beckus, Masteranwärter im Fach Geschichte, noch etwas anderes, sehr Nützliches gelernt: „Es schreibt zwar jeder im Rahmen des Studiums einmal einen Essay, dieser hier musste aber ein gewissermaßen populärwissenschaftlicher Text werden, der den Lesern wissenschaftliche Inhalte auf allgemein verständliche Weise vermittelt“, so der 23-Jährige. „Auch das war für uns ein Novum.“
Nachdem die sieben Teilnehmer allein oder zu zweit diese Herausforderung gut gemeistert hatten, konnte im neuen Jahr der praktische Teil beginnen. „Mit der Ausarbeitung der Essays haben wir jeder ein bestimmtes Unterthema konkretisiert und dazu dann in Archiven, der Stiftungsdatenbank und Katalogen nach Ausstellungsmaterial recherchiert“, berichtet Claudia. Dabei – und auch beim Abschließen der Leihverträge – standen ihnen die Mitarbeiter der Stiftungen besonders hilfreich zur Seite.
Einhundert Gäste im Kabinett
„Dank der vielseitigen Unterstützung haben wir schnell viele Dinge gelernt, die man sich im Berufsleben vermutlich weitestgehend selbst aneignen muss. Wir haben leicht Zugang zu verschiedenen Institutionen erhalten und Hinweise in die richtige Richtung“, so die Absolventin der Kunstgeschichte und Germanistik. Die engagierte Suche nach Ausstellungsstücken beförderte sogar einen wahren Fund zutage: Antje Schloms und Holger Trauzettel, die sich mit Francke zu dessen Lebzeiten auseinandergesetzt haben, entdeckten das Titelkupfer „Sturz der Kanzel“, eine polemische Darstellung der „Begeisterten Mägde“ von 1704.
„Dies ist vermutlich die erste Abbildung der begeisterten Mägde und hätte recht eigentlich in die große Jubiläumsausstellung gehört“, berichtet Pečar stolz. Der die Hauptausstellung ergänzende Charakter von „FranckeBilder und Festkultur“ wird dadurch um einen weiteren Aspekt verstärkt.
Die Erkundung der Berufspraxis endete jedoch nicht mit der fertig gestellten Ausstellung. Nach der Eröffnungsveranstaltung Ende April, zu der – zur großen Überraschung der Studierenden – etwa einhundert Gäste erschienen, betreuen sie ihr Werk weiterhin mit Führungen, so auch bei der Langen Nacht der Wissenschaften am 5. Juli. „Durch die Führungen lernen wir, den Stoff zu vermitteln, und nehmen, auch dank des Katalogs, die Arbeit der Kommilitonen stärker wahr. Gleichzeitig erleben wir dabei, dass unsere Arbeit geschätzt wird. Das fühlt sich gut an und motiviert“, meint Paul Beckus.
Und nicht nur die Studenten sind froh über den Erfolg. „Große Zufriedenheit herrscht auch seitens der Stiftungen“, betont Holger Zaunstöck. „Den Mitarbeitern hat die Zusammenarbeit Freude bereitet und wir blicken neuen Gelegenheiten zu solchen Kooperationsprojekten zuversichtlich entgegen.“