Von Lurchen und einem hängenden Wal

28.04.2022 von Katrin Löwe in Varia, Wissenschaft
Für PD Dr. Hendrik Müller ist es eine Premiere in mehrfacher Hinsicht: Am 7. Mai findet nach langer coronabedingter Pause in diesem Jahr wieder die Museumsnacht Halle & Leipzig statt – und das erstmals mit ihm als Kustos der Zoologischen Sammlung der Universität. Im Mai 2020 hat er den Posten an der MLU angetreten. In öffentlicher Führung gezeigt werden zum ersten Mal jetzt auch die sanierten Sammlungssäle am Domplatz.
Hendrik Müller in der Zoologischen Sammlung. Seit zwei Jahren ist er deren Kustos.
Hendrik Müller in der Zoologischen Sammlung. Seit zwei Jahren ist er deren Kustos. (Foto: Markus Scholz)

Wenn Hendrik Müller die ehemalige Bibliothek der Zoologischen Sammlung betritt, erwarten ihn keine Bücher. Stattdessen steht er vor dem Skelett eines indischen Elefanten, den Knochen eines an der Decke hängenden Pilotwals und einem Giraffenskelett, das zuvor trotz seiner Größe „gut versteckt“ in einem der Sammlungssäle gewesen sei, wie er sagt. Dieser Raum in der unteren Etage des Hauses am Domplatz soll künftig ausschließlich für Skelette verwendet werden. „Sie entwickeln so eine ganz andere Wirkung“, betont Müller. Zur Museumsnacht am 7. Mai wird der Raum zum ersten Mal präsentiert. Auch für den Wissenschaftler ist es in Halle die erste Veranstaltung, die sich an die breite Öffentlichkeit richtet.

Seit Mai 2020 ist Hendrik Müller Kustos der Zoologischen Sammlung. Er hat in Berlin Biologie studiert, anschließend am Londoner National History Museum geforscht und wurde 2007 an der Universität Leiden in den Niederlanden promoviert. Nach einem knapp zweijährigen Aufenthalt in Harvard (USA) hat er sich 2019 an der Universität Jena habilitiert. Sein Forschungsgebiet sind die Amphibien. Für seine Promotion zum Beispiel hat sich Müller mit den so genannten Blindwühlen befasst, neben Fröschen und Salamandern/Molchen die dritte Gruppe der Lurche, von ihr gibt es nur rund 200 Arten weltweit. Die wurmförmigen Tiere ohne Extremitäten oder Schwanz kommen meist unterirdisch in den Tropen und Subtropen vor und haben ihn vor allem aus einem Grund fasziniert: „Über sie ist noch wenig bekannt“, sagt der 46-Jährige. In Amphibienbüchern gebe es oft dutzende Seiten über Frösche, ein gutes Dutzend über Salamander – und eine halbe Seite über Blindwühlen. In Thailand, Kenia oder Tansania hat sich Müller auf die Suche nach ihnen gemacht. Bei 100 Prozent Luftfeuchte im tropischen Regenwald sei das nicht nur mit Glück, sondern auch mit harter Arbeit verbunden gewesen, sagt er. Für seine Habilitation hat er sich dann verstärkt mit Fröschen und Salamandern befasst, mit evolutionsbiologischen Fragestellungen, der Beschreibung von Arten. Insbesondere in Afrika gebe es viele neue Arten, sagt er, bei zwei Drittel der afrikanischen Arten sei zudem noch unbekannt, wie die Kaulquappen aussehen.

Und nun also Halle – und ein Themenspektrum, das weit über Amphibien hinausgeht. „Für einen Zoologen mit Museumsaffinität war das hier eine sehr reizvolle Stelle“, sagt Müller und beginnt zu schwärmen. Von der wunderbaren Zoologischen Sammlung, die nicht nur aus historischer, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht interessant sei. Von den mehr als 2,2 Millionen Sammlungsobjekten, angefangen von einfachsten tierischen Lebewesen wie Schwämmen bis hin zu Wirbeltieren. Und von der Einmaligkeit mancher Exponate wie der berühmten Eiersammlung von Max Schönwetter. Müller spricht auch von „schlummernden Schätzen“, denen man sich noch stärker widmen wolle. Ein Beispiel seien Exponate, die von einer Kuba-Expedition in den 1960er Jahren stammen, darunter einige aus der Vogelwelt, die in europäischen Sammlungen Seltenheitswert haben. An Arbeit mangele es nicht, sagt der Kustos. Die Inventarisierung und die digitale Erfassung der Objekte der Zoologischen Sammlung sei in den verschiedenen Gruppen von Tieren unterschiedlich weit fortgeschritten – das sei eine der Aufgaben für die kommenden Jahre.

Auch der Gebäudezustand am Domplatz halte noch einiges an Herausforderungen bereit, sagt der Kustos – obwohl sich schon einiges getan hat. Frisch saniert sind zum Beispiel die beiden Sammlungssäle, die zur Museumsnacht erstmals wieder präsentiert werden. Ursprünglich sollten nur die teilweise undichten Fenster der Säle ausgetauscht werden, um den Bestand vor Feuchtigkeit, Hitze und UV-Strahlen zu schützen. Dabei sei der schlechte Zustand der Wände augenscheinlich geworden, sie und die Elektrik wurden deshalb parallel mit erneuert. Die Universität trage eine Verantwortung für den Erhalt der Sammlungsobjekte, darunter „national wertvolles Kulturgut“, so der Kustos. Verbunden war die Sanierung der Säle mit einer Arbeit, die Müller mit einem „Tetris-Spiel auf Gebäudelevel“ beschreibt: Sammlungsstücke mussten immer wieder umgeräumt werden, damit die Arbeiten in den einzelnen Bauabschnitten weitergehen konnten. Die Skelette der Giraffe und des Elefanten wurden sogar demontiert und wegen der Größe und der verwinkelten Räume teilweise über das Außengelände an ihren neuen Standort transportiert.

Während der Museums-Nacht soll es nun nicht nur Führungen durch die sanierten Säle geben, es werde im neuen Skelettraum auch live die Präparation eines Luchses gezeigt, kündigt Müller an. Zudem werden Kurzfilme aus der im vergangenen Jahr veröffentlichten Graphic Novel zum Europasaurus zu sehen sein, dem ersten Dinosaurier, bei dem Zwergenwuchs nachgewiesen werden konnte. Das Programm ist hier nachzulesen. Im Anschluss an die Museumsnacht sollen wieder einmal pro Woche öffentliche Führungen angeboten werden, darunter voraussichtlich eine Spätführung im Monat, die erst um 18 Uhr beginnt.

Die Museumsnacht

Die Museumsnacht findet am 7. Mai von 18 bis 24 Uhr statt. Insgesamt öffnen mehr als 80 Museen und Sammlungen in Halle und Leipzig ihre Türen. Tickets gibt es ausschließlich im Vorverkauf zum Preis von zehn Euro (ermäßigt 8 bzw. 5 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre erhalten ein kostenfreies Ticket). Die Universität beteiligt sich zudem mit der Zentralen Kustodie und ihrer Sonderausstellung zur Bildhauerin Grete Budde, mit Führungen durch den Botanischen Garten und den Geologischen Garten und einem Programm im Archäologischen Museum.

In letzterem werden Texte und Objekte aus dem Alten Orient in den Blick genommen. Um 19, 20, 21 und 22 Uhr werden anhand von Sammlungsobjekten philologische beziehungsweise archäologische Kurzvorträge gehalten. Anhand altorientalischer Schrift- und Bildträger werden zudem Anwendungsmöglichkeiten der 3D-Dokumentationstechnik vorgeführt. Kurze Texte zu einzelnen Objekten verweisen auf die lange Tradition der Forschung zu den altorientalischen Hochkulturen an der Universität Halle.

Alle Informationen und Vorverkaufsstellen finden sich auf der Webseite: https://www.museumsnacht-halle-leipzig.de

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