Begleitete „Sprünge ins Ungewisse“

16.11.2022 in Personalia
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Anne-Katrin Neyer ist Professorin des Jahres 2022 in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften und Jura. Das Universitätsmagazin campus halensis wollte von ihr wissen, wie sie den bundesweit von der Unicum-Stiftung vergebenen Preis einordnet und was ihre Arbeit prägt.
Anne-Katrin Neyer wurde mit dem Titel "Professor des Jahres" im Bereich Wirtschaftswissenschaften und Jura geehrt.
Anne-Katrin Neyer wurde mit dem Titel "Professor des Jahres" im Bereich Wirtschaftswissenschaften und Jura geehrt. (Foto: Markus Scholz)

Freut Sie der Titel „Professorin des Jahres“?
Anne-Katrin Neyer: Diese Anerkennung freut mich sehr, denn sie zeigt, dass – auch, beziehungsweise gerade, wenn die Lehre den bisherigen Status-Quo verlässt– gemeinsam vieles ausprobiert, entwickelt und nachhaltig gelernt werden kann.

Die Unicum-Stiftung hat ja mit dem Preis die optimale Berufsvorbereitung der Studierenden im Blick. Wie ist ihr Verhältnis zu den Studierenden? Wie gestalten Sie dieses Miteinander?
Als Professorin bin ich mit meinem Team Ansprechpartnerin – nicht nur für studienrelevante Themen, sondern auch zu Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, meinen Erfahrungen als Frau in Führungsposition, der Hilfestellung bei Lernschwierigkeiten oder bei Entscheidungen, wie es nach dem Studium weitergehen soll. Im Laufe meiner eigenen Karriere habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich dieser Verantwortung immer wieder bewusst zu werden. Mein Rollenverständnis ist das einer Rahmengeberin.

Wofür?
Innerhalb des Rahmens sollen Studierende lernen, Theorie mit der Praxis zu verknüpfen. Dabei sind an vielen Stellen des Lehrprogramms Sprünge ins Ungewisse integriert. Für die Generation an Studierenden, die in einer „Krisen-Welt“ ihre Schritte ins Berufsleben machen wird, ist es wichtig zu lernen, wie man in unbekannten Gewässern agieren kann, und zu reflektieren, wie es einem dabei geht. Diesen Prozess zu begleiten erachte ich für sehr wichtig. Das ist eine Aufgabe, die ich nicht alleine schaffen kann, sondern nur gemeinsam mit Menschen, die dieses Verständnis teilen. Ich habe das große Glück, mit solchen Menschen am Lehrstuhl, am Wirtschaftswissenschaftlichen Bereich sowie an der Universität zusammenarbeiten zu dürfen.

Wie gestalten Sie den Praxis-Anteil im Studium?
Mein Forschungsverständnis ist geprägt durch den Ansatz des „Engaged Scholarship“, das heißt, ich greife aktuelle Fragestellungen aus der Praxis auf und untersuchen diese mit Hilfe neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dieses Verständnis prägt auch meine Lehrtätigkeit. Sowohl im Bachelor- als auch im Master-Studium haben unsere Studierenden die Möglichkeit, aktuelle Themen aus der Unternehmenspraxis aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren und gemeinsam mit Praxispartnern zu diskutieren. Besonders hervorheben möchte ich die Kooperation mit Dell Technologies in Halle und nur ein Beispiel aus dieser Partnerschaft geben. Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Innovationsorientierte Personalentwicklung“ arbeiten Studierende des Masterstudiengangs Human Resources Management seit vier Jahren gemeinsam mit Mitarbeitenden von Dell Technologies an Innovationsprojekten des Unternehmens. Dabei wurden seit 2018 bislang vier Teilprojekte realisiert. Die inhaltlichen Impulse bringen gleichzeitig praktischen Mehrwert für das Unternehmen, so wurde ein Ausbildungsprogramm für Quereinsteigerinnen im IT-Bereich implementiert und führte bereits zur dauerhaften Einstellung von Frauen mit Migrationshintergrund. Das Kooperationsprojekt wurde auch mit dem Transferpreis der Stadt Halle 2021 in der Kategorie „Erfolgreiche regionale Transferkooperation“ ausgezeichnet.

Bleiben solche Kontakte auch über die Lehrveranstaltungen hinaus bestehen?
Ja, natürlich. Sie führen regelmäßig dazu, dass Studierende nach ihrem Abschluss bei einem der Unternehmen in die Berufspraxis einsteigen.  Zuvor haben sie die Möglichkeit, praktische Abschlussarbeiten im Kontext unserer Forschungsschwerpunkte zu verfassen. Das wird gerne genutzt, da so zum Beispiel die Arbeit als Werkstudentin oder Werkstudent mit der Abschlussarbeit kombiniert werden kann. Hier ist es mir wichtig, dass im Austausch mit dem Unternehmen die Erwartungen im Vorfeld abgeklärt werden, um zu vermeiden, dass die Studierenden in eine „Zwickmühle“ zwischen den wissenschaftlichen Ansprüchen der Arbeit und den praxisrelevanten Anforderungen geraten.

Welche weiteren berufsrelevanten Schlüsselkompetenzen geben Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg? Und was ist mit der Digitalisierung?
Ich verstehe mich als Rahmengeberin. Das bringt auch mit sich, dass die Antworten auf die Frage, wie Studierende beim Erlernen von berufsrelevanten Schlüsselkompetenzen am besten unterstützt werden können, immer wieder neu reflektiert und angepasst werden müssen. Ich gebe wieder ein Beispiel: Bereits vor der Corona-Pandemie habe ich gemerkt, dass insbesondere für die Bachelor-Vorlesung „Personalwirtschaft und Organisation“, die von sehr vielen Studierenden besucht wird, ein neues Lernformat gebraucht wird. Diese Auseinandersetzung mit Ideen für die „Lehre der Zukunft“ und der Austausch mit unseren Studierenden haben dazu geführt, dass wir mit Beginn der Pandemie innerhalb kürzester Zeit ein innovatives Online-Angebot über die Plattform StudIP und das Lernmanagementsystem ILIAS umgesetzt haben. Die Lehr- und Lerninhalte stehen den Studierenden dabei als eigenverantwortlich zu bearbeitendes Lernmodul zur Verfügung. Unterschiedlich aufgearbeitete Materialien wie Lernvideos mit entsprechenden Skripten, Animationen, verschiedene Aufgabenformate zur Wissensabfrage sowie zur Reflexion der Inhalte unterstützen die Wissensvermittlung und fokussieren unterschiedliche Lernpräferenzen. Wir haben gelernt, dass kurze Videos von maximal zehn Minuten pro Lernetappe zielführender sind als 90-minütige Aufzeichnungen. Zur Orientierung empfehlen wir den Lernenden zudem eine Zeitspanne für die Bearbeitung der Themenblöcke und erläutern Aspekte zum selbstregulierten Lernen. Zudem unterstützen Live-Tutorien die Diskussion von Fachfragen in kleineren Gruppen. So möchten wir den Studierenden die Möglichkeit zur Selbstreflexion und damit eine kritische Auseinandersetzung mit digital-unterstütztem Lernen geben. Diese Lehrveranstaltung wurde auch mit dem @ward – dem Preis für multimediales Lehren und Lernen unserer Universität ausgezeichnet.

Zusammenfassend denke ich, dass Selbstreflexionsfähigkeit, Resilienz und Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen und neue Dinge auszuprobieren, wichtige Wegbegleiter sind. Nur so kann man erfahren, wo die eigenen Grenzen wirklich liegen und was man - vielleicht ganz unerwartet – doch alles gerne machen möchte und schaffen kann.

Zur Person

Prof. Dr. Anne-Katrin Neyer ist seit 2014 Lehrstuhlinhaberin für Personalwirtschaft und Business Governance an der MLU und leitet den Master-Studiengang Human Resources Management. Zuvor war sie an dem Fraunhofer-Institut IMW (Leipzig) und der London Business School tätig. Die Wissenschaftlerin wurde an der Wirtschaftsuniversität Wien promoviert und verfasste ihre Habilitation am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik I an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie ist Chief People Officer bei Women in AI (WAI), einem gemeinnützigen Do-Tank, der sich für mehr Diversität und Inklusion in der KI-Forschung und Praxis engagiert.

An der MLU betreut Anne-Katrin Neyer überwiegend den Masterstudiengang Human Resources Management, aber auch Studierende im Master Wirtschaftsinformatik, International Area Studies, Erneuerbare Energien und Betriebswirtschaftslehre sowie Bachelor-Studierende in den Wirtschaftswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre/Volkswirtschaftslehre und im Zwei-Fach-Bachelor.

Kategorien

Personalia

Kommentar schreiben